Vom Pferd zu Hightech

Die Landwirtschaft in Frankreich gilt als eine der innovativsten weltweit. Hunderte Agritechs sind dabei, einen nötigen Wandel voranzutreiben, um auf die großen Herausforderungen wie Demographie, Klimawandel und Umweltschutz zu reagieren.

Text: Dirk Böttcher, Alessia Armezzani

18Mio. ha

Gesamtackerfläche in Frankreich (2019)

5Mio. ha

Ackerfläche für Weichweizen in Frankreich im Jahr 2019

0.7Mio. ha

Ackerfläche für Weinanbau

Quellen für Zahlenmaterial:
Situationsbericht Bauernverband; Businesscoot.com


430000
Arbeitsplätze hängen direkt an der französischen Landwirtschaft.

2.4 Mio. Menschen

sind indirekt mit der Branche verknüpft, damit ist sie ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor.

76 Mrd.

Gesamtwert der Agrarproduktion Frankreichs.

Das Klischee der Landwirtschaft Frankreichs sind die violetten Lavendelfelder der Provence oder die malerischen Weinanbaugebiete des Burgunds. Das mit Abstand wichtigste Produkt, das auf französischen Böden angebaut wird, wirkt gegen diese Postkartenidylle fast langweilig: Frankreich ist größter Weizenproduzent der EU-27-Staaten. Mit für 2020 notierten knapp 29,5 Millionen Tonnen stehen die Franzosen weltweit auf Platz sechs. In den vergangenen zwei Jahren mussten die Farmer allerdings schmerzliche Ernteverluste in Kauf nehmen: 2019 und 2020 sanken die Erträge jeweils im Vergleich zum Vorjahr. Für 2021 verzeichnet man wieder eine Steigerung, allerdings auf weiterhin niedrigem Niveau. Dazu leidet die Qualität: Vor allem der Weichweizen erreichte häufig nicht die nötige Kornfüllung und endete als Futterweizen. Die Gründe für die Einbußen bei Menge und Qualität sind vielfältig – die Ansätze, die Situation zu verbessern, aber auch.

So wird der Ruf nach moderner Technik immer lauter. Man hat einiges nachzuholen – und tut das auch. War noch bis in die 1960er Jahre oftmals noch das Pferd die einzige „Maschine“ auf einer Farm – gilt Frankreich heute mit geschätzt mehr als 250 Agri-Start-ups als einer der innovativsten Märkte. Für diesen Geist der Modernisierung steht Hervé Pillaud. Ein immerhin über 60-jähriger Viehzüchter, der als Redner, Buchautor und Blogger landesweit eine kleine Berühmtheit geworden ist und sich „Digital Evangelist der Landwirtschaft“ nennt. Er sagt: „Wir Landwirte müssen endlich Nutzer von Technologie werden und die Landwirtschaft von einem inputintensiven zu einem wissensintensiven Sektor machen.“

Vor allem digitale Technologien könnten der Schlüssel zu einer rentableren und umweltfreundlicheren Landwirtschaft sein. Davon ist man auch bei La Ferme Digitale überzeugt, einer Gemeinschaft französischer landwirtschaftlicher Start-ups und Unternehmen, die die Entwicklung innovativer Instrumente unterstützt, etwa um die Verwaltung von landwirtschaftlichen Betrieben zu optimieren oder Produktionskosten zu senken. Hervé Pillaud ist Ehrenmitglied bei La Ferme Digitale und gut vernetzt. Er bewirtschaftet nicht nur seinen landwirtschaftlichen Betrieb im Loiretal, sondern ist auch Vorsitzender der Abteilung für Innovation und Forschung der Landwirtschaftskammer dieser Region und schließlich auch noch Mitglied des Nationalen Rates für digitale Transformation und Leiter der Gruppe Etablières, einer Bildungseinrichtung für Landarbeiter.

Pillaud glaubt, dass Frankreich in puncto Digitalisierung viel aufgeholt habe, nicht mehr weit hinter den führenden Nationen Deutschland und den Niederlanden liege. Mehr als die Hälfte der Betriebe im Land seien umfassend digitalisiert. Wer diesen Weg nicht gehe, so Pillaud in einem Interview, der werde aus dem Markt gedrängt. Pillaud verweist auf einige Beispiele, die Betriebe „dynamischer“ machen: „Digitale Hilfsmittel helfen bei der Auswahl der am besten geeigneten Pflanzensorte je nach Art des Feldes und Drohnen liefern Daten über die im Boden vorhandenen Nährstoffe oder das Wasser und senden sie an die Dünge- und Bewässerungsgeräte, um die Gesundheit und Produktivität der Pflanzen zu optimieren.“

Die Landwirtschaft muss beginnen, in einer horizontaleren Welt zu denken, in der das Wort Zusammenarbeit wieder seine volle Bedeutung erlangt, indem sie eine noch nie dagewesene Anzahl von Akteuren einbezieht.“

Hervé Pillaud,
französischer Landtechnikexperte

Wir versuchen, die Landwirte über den Einsatz intelligenter Technologien zu informieren und im Umgang mit unseren Maschinen zu schulen.“

Bruno Chapon,
CLAAS Händler aus Hauts-de-France

Unterstützer des Wandels

CLAAS hat es sich zur Aufgabe gemacht, die französischen Landwirte bei ihrer digitalen Transformation zu unterstützen. Bruno Chapon, Direktor des Landmaschinenhändlers Gueudet Agricole mit Sitz in Beauvais (Hauts-de-France), arbeitet jeden Tag daran. Die Betriebe von Gueudet befinden sich im Herzen eines sehr großen Getreideanbaugebiets.

Chapon spricht mit großer Freude über seine Arbeit. Der leidenschaftliche Geschäftsmann stellt fest, dass immer mehr Landwirte „intelligente“ Technologien einsetzen wollen, zum Beispiel spezielle Maschinen zur Bewirtschaftung von Pflanzendecken und Unkraut oder GPS-gesteuerte Fahrzeuge. „Unsere Aufgabe ist es, die Landwirte in dieser Phase zu unterstützen“, erklärt Chapon und fügt an: „Wir bieten denjenigen, die intelligente Landmaschinen einsetzen wollen, die Möglichkeit, neue oder gebrauchte CLAAS Maschinen mit Hightech-Ausstattung zu kaufen oder zu mieten.“ In Beauvais sind leistungsstarke Traktoren für die riesigen Getreidefelder sehr gefragt. Dank moderner Steuerungstechnik, dem Einsatz von Satelliten zur Geolokalisierung von Arbeitsabläufen, aber durch Smartphones, Software und sogar Drohnen fahren CLAAS Traktoren heute nahezu autonom.

Wie in vielen anderen Regionen sind die Landwirte in der Region Hauts-de-France vor allem mit dem Wetter konfrontiert. Im Jahr 2020 und auch in diesem Jahr konnten viele Anbauflächen wegen überdurchschnittlicher Niederschläge gar nicht erst bestellt werden oder es litt die Qualität der Ernte. In den Vorjahren war es die Hitze, die den Bauern zu schaffen machte. In diesen Extremsituationen ist es wichtig, mit Präzision zu arbeiten. Die CLAAS Tochter 365FarmNet bietet mit CLAAS Crop View ein auf Satellitendaten basierendes Überwachungssystem an, das in Echtzeit Informationen über den Bodenzustand und die Vegetationsentwicklung liefert. Auf diese Weise wissen die Landwirte, wo sie auf dem Feld viel oder wenig düngen oder bewässern müssen.

Die Agritechwelle

Auch Genossenschaften wie InVivo, die mehr als 3.000 Unternehmen vereint, nehmen diese Herausforderungen an und bieten ihren landwirtschaftlichen Mitgliedern eine breite Palette an Lösungen und Produkten an. Etwa die Software Smag, die heute rund zehn Millionen Hektar des französischen Agrargebiets abdeckt und den Landwirten über das Smartphone Zugriff auf querverweisende Informationen über das Wetter, optimale Daten zum Sprühen von Dünger, zu Saatgut, Düngeplänen und der Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften ermöglicht. „In Frankreich treiben vor allem die komplizierten regulatorischen Auflagen den Einsatz von Software, während die Technologien anderswo eher zur Optimierung der Produktivität entwickelt werden“, erklärte Stéphane Marcel, Leiter der Abteilung Digitalisierung bei InVivo, jüngst in einem Interview. Neben der genauen Kartierung von Grasflächen oder bisherigen Wasserläufen müssen die Landwirte beispielsweise computergestützte Ausbringungsaufzeichnungen führen.

InVivo wählt auch Saatgutsorten aus, die am besten zu den Böden und dem Sektor des jeweiligen Landwirts passen, und steigert so die Produktivität und Qualität bei gleichzeitiger Schonung der Umwelt. Frankreich ist dank seines vielseitigen Klimas und seiner langjährigen Erfahrung in diesem Bereich ein ideales Land für die Saatguterzeugung – auch für andere Staaten.

Der anderen großen Herausforderung, der Anfälligkeit von landwirtschaftlichen Betrieben gegenüber dem Klimawandel, widmen sich Forscher des Nationalen Forschungsinstituts für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt (INRAE). Wissenschaftler des INRAE in Toulouse untersuchen zum Beispiel Taktiken zur Bewältigung extremer Wetterereignisse, simulieren dafür die Produktion von Futtermitteln für die nächsten 30 bis 50 Jahre und korrelieren dies mit den Wettervorhersagen von Météo France. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass es innerhalb eines Jahres und auch zwischen den Jahren erhebliche Schwankungen bei den Erträgen geben wird.

Die neue Generation unterstützen

CLAAS ist an vielen dieser Aktivitäten beteiligt. „Wir versuchen, die Landwirte über den Einsatz intelligenter Technik zu informieren und sie im Umgang mit unseren Maschinen zu schulen“, erklärt Händler Bruno Chapon. Manchmal fehle es in den Betrieben noch an diesem Know-how, vor allem weil die Berufsausbildung hauptsächlich auf die Mechanik, nicht aber auf den Einsatz digitaler Werkzeuge ausgerichtet sei. In seinem eigenen Unternehmen bildet Chapon selbst Lehrlinge aus. Es geht ihm auch darum, seine Philosophie weiterzugeben: „Wir sind immer auf der Suche nach Innovationen, und das ist es auch, was CLAAS ausmacht.“ So sind die neuesten CLAAS Maschinen jetzt mit einem Fernwartungsservice ausgestattet, der einen schnellen und direkten Zugriff ermöglicht.

Um den Wandel in der Landwirtschaft auch in Zukunft mitgestalten zu können, aber auch um diesen Wandel selbst einzuleiten, hat CLAAS im Mai dieses Jahres eine umfassende Modernisierung und Digitalisierung der eigenen Traktorenproduktion in Le Mans gestartet. Das Projekt „Future Fabric“ wird in drei Jahren abgeschlossen sein. Danach sollen in der neuen Fabrik pro Jahr bis zu 13.000 Traktoren der AXION und der ARION Reihe gebaut werden, mit autonomen Fahrzeugen in der Produktion und dem Einsatz von Augmented und Virtual Reality, um den gesamten Produktionsprozess jederzeit zu visualisieren.

Um mit den Worten von Herrn Pillaud zu schließen: „Der Wandel ist unausweichlich. Die Landwirtschaft muss beginnen, in einer horizontaleren Welt zu denken, in der das Wort Zusammenarbeit wieder seine volle Bedeutung erlangt, indem sie eine noch nie dagewesene Anzahl von Akteuren einbezieht. Die Landwirtschaft muss ihre Grundlagen wiederentdecken, indem sie kollektives und gemeinschaftliches Arbeiten bevorzugt und anfängt, Technologien zu nutzen, um kollektive Intelligenz zu mobilisieren.“ Demographie, Klima- und Umweltveränderungen nennt er als die drei großen Herausforderungen dieses Jahrhunderts und sagt: „Die Landwirtschaft in ihrer Vielfalt wird im Zentrum dieser Herausforderungen stehen.“