Nachfolger gesucht

Weniger Höfe, größere Flächen: Neben wirtschaftlichem Druck ist fehlende Nachfolge ein häufiger Grund dafür, dass Landwirte ihren Betrieb aufgeben. Eine außerfamiliäre Übergabe kann ein Weg sein, das Lebenswerk eines Bauern vorm „Weichen“ zu bewahren.

Text: Roman Scherer

Wachsen oder weichen: Diese oft strapazierte Zuspitzung kommt schnell in den Sinn, wenn es um den Strukturwandel in der deutschen Landwirtschaft geht. Doch was ist wirklich dran? Fakt ist: Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe nimmt seit Jahrzehnten kontinuierlich ab, dafür wächst die durchschnittliche Fläche pro Hof. In Deutschland entfielen bei der letzten Erhebung 2019 über 40 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen auf 5 Prozent der größten Betriebe. 1949 gab es noch allein auf dem Gebiet der Bundesrepublik knapp 1,8 Millionen Bauernhöfe. Heute sind es noch etwa 260.000. Lässt man die gut 20.000 Kleinbetriebe mit weniger als fünf Hektar Fläche unberücksichtigt, liegt die Fläche pro Betrieb heute bei 68 Hektar.

Dieses Phänomen gibt es nicht nur in Deutschland: Überall in Europa geht die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe zurück und die Flächen pro Betrieb wachsen. Auch in den USA oder Kanada werden die kleineren Farmen immer weniger. Eine Hauptursache ist wirtschaftlicher Druck: Moderne Landwirtschaft ist kapitalintensiv, je größer ein Hof ist, desto effizienter lassen sich die teuren Maschinen einsetzen, Skaleneffekte kommen zum Tragen. Aber auch wirtschaftlich solide Höfe verschwinden. Der Grund dafür ist dann häufig: keine Nachfolge in Sicht.

Andere Zeiten: In etwa 70 Jahren ist die Anzahl der Höfe um gut 85 Prozent geschrumpft.

Mehr als ein Arbeitsplatz

Der Hof ist für den Bauern mehr als ein Arbeitsplatz, er ist der Mittelpunkt der Familie und des gesamten Lebens, und das oft seit Generationen. Da wundert es nicht, dass es viele Bauern vor große Herausforderungen stellt, wenn in der Familie niemand den Betrieb weiterführen will. Gleichzeitig gibt es zahlreiche Menschen, die ohne elterlichen Hof gerne Bauer mit eigener Scholle wären. Ein Beispiel: Thomas Großerüschkamp. Er wurde 1974 als drittes von vier Kindern eines Milchbauern im westlichen Münsterland geboren. Früh entwickelte er auf dem elterlichen Hof eine Leidenschaft für Landwirtschaft und den Milchviehbetrieb. Aber es galt das Ältestenrecht, sein großer Bruder übernahm den Betrieb.

Großerüschkamp entscheidet sich zunächst für eine schulische Ausbildung, besucht die Höhere Handelsschule, wird Groß- und Außenhandelskaufmann im Agrarhandel. „Ich habe aber immer Augen und Ohren wegen eines Hofs offen gehalten“, erzählt er. Dann spricht ihn ein Berater der Landwirtschaftskammer an, der weiß, dass Großerüschkamp einen Hof sucht: Der Berater kennt eine Familie in Ostwestfalen, die ihren Hof abgeben will. Die eigenen Kinder haben kein Interesse, der Betrieb soll aber weitergeführt werden. 1996 besucht Großerüschkamp den Hof. Es ist ein Milchviehbetrieb mit 45 Kühen und gut 40 Hektar bewirtschafteter Fläche. Der erste Eindruck ist auf beiden Seiten gut. „Wir konnten uns vorstellen, uns weiter über das Thema Übergabe zu unterhalten“, erinnert sich Großerüschkamp.

Plötzlich muss es schnell gehen

Im Verlauf der nächsten Jahre lernen sich die „Alten“ und der „Junge“ immer besser kennen und werden sich Schritt für Schritt einig: Eine landwirtschaftliche Qualifikation muss her. Da es schnell gehen soll, entscheidet sich Großerüschkamp für ein Fachhochschulstudium zum Diplom-Agraringenieur. In den Semesterferien arbeitet er auf dem Hof, hilft auch zwischendurch aus. 1999 hat der Senior einen Unfall im Betrieb. Großerüschkamp, der gerade seine Diplomarbeit schreibt, springt ein und wird Bewirtschafter des Hofs. „Da war schon alles eingestielt“, erinnert er sich. Für die Form der Übergabe wird ein Betriebsüberlassungsvertrag gewählt. Im Falle einer Vertragsauflösung erhielte Großerüschkamp als Bewirtschafter so für den unter ihm entstandenen Mehrwert des Hofs eine Entschädigung und auch den Abgebenden bliebe ein Weg aus der Übergabe. „Das war unsere Sicherheit“, so Großerüschkamp. Er trifft die Entscheidungen damals gemeinsam mit seiner heutigen Frau, die er schon seit seiner Jugend kennt. Sie hat damals keinen landwirtschaftlichen Hintergrund, geht aber mit und ist bis heute auf dem Hof. „Das ist ja auch eine Form der Zustimmung“, bemerkt Großerüschkamp mit einem Lächeln.

Wirklich angekommen

Um die Hofübergabe zu besiegeln, gehen die „Alten“ und die „Jungen“ dann noch einen Schritt weiter. 1999 lässt sich Großerüschkamp im Alter von knapp 26 Jahren adoptieren. Dabei habe das Höfe- und Steuerrecht eine Rolle gespielt. „Wir sind aber auch als Familien näher zusammengerückt“, sagt Großerüschkamp. Er nimmt sogar den Namen seiner Adoptiveltern an. „Ich bin ja selbst auf einem Hof groß geworden und weiß, wie eng die Verbindung zwischen den Höfen und den Familiennamen traditionell ist“, erklärt er. „Mit meinem Geburtsnamen wäre ich hier länger Fremder geblieben.“

Heute fühlt sich der Milchbauer längst angekommen. Auch wenn er und seine Frau mit dem Umzug und dem Hof auf vieles verzichten mussten: Thomas Großerüschkamp ist zufrieden. Der Betrieb hat mittlerweile 145 Kühe und 86 Hektar in Bewirtschaftung. Der Senior, Antonius Großerüschkamp, arbeitet immer noch mit. „Der ist Landwirt aus Leidenschaft und mit 86 noch topfit“, so der Junior. Über seine eigene Nachfolge hat sich Großerüschkamp noch keine konkreten Gedanken gemacht. Er ist Vater von vier Kindern, eine Tochter habe zumindest schon mal Interesse bekundet. „Ich würde mich sehr freuen, wenn eins der Kinder den Hof übernimmt“, so Großerüschkamp. „Aber wir sind ihnen gegenüber auch offen mit dem, was es bedeutet, sich an einen Hof zu binden. Sie sollen sich frei entscheiden können.“ Eine Übergabe außerhalb der Familie will Großerüschkamp auf Nachfrage nicht ausschließen: „Wenn es dann so weit ist und keins der Kinder übernehmen will, dann kann ich mir schon vorstellen, die Fühler auch außerhalb der Familie auszustrecken.“

Thomas Großerüschkamp
Thomas Großerüschkamp

Ein Hof heißt Verant­wortung“

Christian Vieth beschäftigt sich schon lange mit der Frage: Wie finden Bauern ohne Nachfolger und Gründungswillige ohne Hof zusammen? Seit 2008 bringt er beide Seiten unter „hofsuchtbauer.de“ auch online zusammen.

Herr Vieth, welche Voraussetzungen muss ein Hof erfüllen, damit eine Übergabe gelingen kann?

Der Betrieb muss wirtschaftlich funktionieren und der Inhaber muss willens sein, ihn auch abzugeben. Häufig geschieht dies zu gleichen Konditionen wie innerhalb der Familie. Das kann bedeuten, dass für die abgebende Generation ein lebenslanges Wohnrecht vereinbart wird und ein Bar-Altenteil als Ergänzung zur vorhandenen Alterssicherung. Für viele Landwirte ist so eine Übergabe ein großes Glück. Die haben ein großes Interesse daran, dass ihr Lebenswerk, für das sie Jahrzehnte lang viel und hart gearbeitet haben, weitergeführt wird. Gleichzeitig bekommen junge Nachfolger die Chance, in den Beruf einzusteigen.

Was muss jemand mitbringen, der einen Hof übernehmen will?

Der Landwirt sucht keinen Azubi, sondern einen Nachfolger. Bewerber müssen mindestens eine Berufsausbildung in der Landwirtschaft haben, gerne eine Weiterbildung wie Techniker/Meister oder ein Studium. Sie sollten auch schon ein paar Jahre gearbeitet und Verantwortung übernommen haben. Der Musterkandidat ist Anfang 30 und hat sich „die Hörner abgestoßen“. Ihm muss klar sein: Hof heißt Verantwortung über Jahrzehnte.

700

außerfamiliäre Hofübergaben hat Christian Vieth schon begleitet.

Wie kommt dann der Prozess über Ihre Börse in Gang?

Ein Bauer meldet sich idealerweise mit Mitte 50, Anfang 60. Es folgt ein Beratungstermin vor Ort auf seinem Hof. Dann braucht es meistens etwas Zeit, manchmal vergeht ein Jahr, bis eine Entscheidung gefallen ist. Abgebende müssen sich zu 100 Prozent sicher sein und alle Baustellen auf dem Hof geklärt haben. Damit meine ich vor allem die sogenannten weichenden Erben, die unter Umständen auf viel Geld verzichten und als Störfaktor den Übergabeprozess zum Scheitern bringen können.

Was sind wichtige Erfolgsfaktoren für eine Übergabe?

Wichtig ist, die Erwartungen zwischen Abgebenden und Übernehmenden abzugleichen. Beide Seiten haben oft konkrete Vorstellungen – die in der Regel nicht alle erfüllt werden können. Mittlerweile war ich bei über 700 außerfamiliären Hofübergaben dabei. Dabei habe ich gelernt: Den idealen Hof gibt es nicht, genauso wenig wie den idealen Nachfolger. Trotzdem habe ich schon oft erlebt, dass Leute irgendwo landen, wo sie gar nicht hinwollten – und glücklich und zufrieden sind.