Bio
geht
auch
groß

Ländliche Idylle, glückliche Kühe und verschmitzt dreinschauende Landwirte: So sah die Realität von Öko-Bauern und Bio-Bäuerinnen zu keiner Zeit aus, auch wenn manche Werbung diese Bilder nutzt. Öko-Betriebe sind längst etablierter Teil der Agrarwirtschaft. Doch wie groß kann ein Bio-Betrieb sein? Und ist die Denkweise in konventionell und bio noch zeitgemäß?

Text: Jörg Huthmann

Ein Thema, ähnlich groß wie der Klimawandel: das Wachsen der Weltbevölkerung. Bis 2050 soll sie etwa zehn Milliarden Menschen umfassen. Und die Landwirtschaft soll sie ernähren. Daher dienen die zehn Milliarden oft als Argument gegen eine eher kleinteilige bäuerliche Landwirtschaft und für eine professionelle, großflächige und auf Effizienz getrimmte Agrarwirtschaft. Gleichzeitig wird genau diese intensive Art der Bodenbewirtschaftung oft kritisiert. Diese Gemengelage erzeugt einen „Entweder-oder-Konflikt“. Doch angesichts der Herausforderungen für die Welternährung in Zeiten klimatischer Veränderung lohnt es sich vielmehr, auf die Austauschmöglichkeiten zu blicken, die beide Ansätze bieten.

Produktiv und naturschonend

Fakt ist: Noch ist Öko-Anbau eine Nische. Lediglich 1,5 Prozent der weltweiten Anbaufläche sind ökologisch bewirtschaftet. Dass sich die Fläche innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt hat, ist allerdings ebenfalls Fakt. Doch die oft gestellte Frage, ob rein ökologischer Anbau die Welt ernähren kann, beantwortet die größte vorliegende Metastudie zu diesem Thema deutlich. Darin halten die Autorinnen und Autoren der deutschen Universität Gießen fest, dass wegen der geringeren Erträge eine vollständige Umstellung auf ökologische Verfahren mehr Land erfordern würde, um die gleiche Menge an Lebensmitteln zu produzieren. Die Werte schwanken in der Studie zwischen 23 und sogar 67 Prozent Mehrbedarf – je nach Kenntnisstand und Ausstattung der jeweiligen Landwirtschaften. Mit dem Flächenverbrauch würden sich die positiven Effekte auf die Biodiversität sogar leicht umkehren. Die Schlussfolgerung: „Benötigt werden produktive und zugleich umweltfreundliche Systeme. Diese standörtlich angepasst zu entwickeln, erfordert die intelligente Kombination von Methoden des Öko-Landbaus und der konventionellen Landwirtschaft.“

Die Skalen wachsen bei Bio

Einen solchen Lösungsweg beschreibt auch der von Landtechnikexperte Michael Horsch in den letzten Jahren geprägte Begriff Hybridlandwirtschaft, der die Vorteile beider „Schulen“ vereint. Und diesen Weg gehen immer mehr Betriebe, weil das Thema Nachhaltigkeit in ihren Fokus gerückt ist. Gesetze verbieten beispielsweise zunehmend den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln, die in der klassischen Landwirtschaft bisher die effektivste Methode zur Schädlings- und Unkrautbekämpfung waren. Genauso verlangen Konsumenten immer stärker nach Herkunftstransparenz oder tierfreundlicher Haltung. Zu beobachten sind diese Effekte auf Erzeuger- wie Verbraucherseite in Europa und vor allem in den USA. Bio-Lebensmittel, in den USA „Organic Food“ genannt, erzeugte nach Angaben der Organic Trade Association (OTA) 2020 ein Handelsvolumen von 56,4 Milliarden US-Dollar. Damit sind die USA der mit Abstand größte Markt für Bioprodukte weltweit, wenngleich sich das Verständnis von Öko-Landwirtschaft in den Vereinigten Staaten deutlich von dem in Europa unterscheidet.

Doch unabhängig von den Richtlinien beweisen US-Farmer mit diesen Umsatzgrößen: Die „Economies of Scale“ funktionieren bei nichtkonventionellem Landbau. Auch im weitläufigen Australien sind schon mehr als 35 Millionen Hektar „Organic Farms“ – und damit knapp die Hälfte der weltweiten ökologischen Anbaufläche. Das zeigen Daten des Forschungsinstituts für biologischen Landbau im Jahr 2021.

Bezüglich der Hacktechnik gibt es mittlerweile einen erfreulichen Austausch zwischen ökologischen und konventionellen Landwirten.“

Prof. Dr. Detlev Möller,
Universität Kassel

Deutschland zieht nach

Deutsche Betriebe produzieren ebenfalls immer häufiger nach den regionalen Bio-Standards. Das bestätigt mit Naturland einer der größten Bio-Verbände hierzulande. Dieser hat in Deutschland nach eigenen Angaben 4.200 Mitgliedsbetriebe und verknüpft dazu international 100.000 Bäuerinnen und Bauern in über 60 Ländern. Johannes Weiß ist selbst Landwirt und außerdem Berater bei Naturland für Betriebe, die von konventionell auf biologisch umstellen wollen. Für ihn sind auch große Öko-Höfe vorstellbar, solange sich zum Beispiel bei der Tierhaltung die Auslegung der Ställe und die Herdengrößen am Tierwohl orientieren und die Kreisläufe bei der Futtererzeugung erhalten bleiben. Nachhaltiges Wirtschaften funktioniert seiner Meinung nach „über mehrere Bio-Betriebe in direkter Nachbarschaft hinweg mit kurzen Transportwegen und positiven Öko-Bilanzen“.

Ganz ähnlich sieht das Professor Dr. Detlev Möller, Fachgebietsleiter Ökologische Agrarwissenschaften an der Universität Kassel. Auch er sagt, dass die „Economies of Scale“ für Öko-Betriebe gelten, verweist dabei aber auch auf die „Economies of Scope“. Die damit angesprochenen Verbundvorteile und das Selbstverständnis der Anbauverbände bilden nach seiner Einschätzung ein sehr viel größeres Gegengewicht als in der konventionellen Welt. „Eine Kreislaufwirtschaft überregional zu organisieren, zum Beispiel beim Thema Güllebörsen“, so Professor Möller, „ist für die ökologische Landwirtschaft sicherlich schwieriger und werde wohl kaum der Standard werden.“

Gemeinsamkeiten bei der Landtechnik

Beim Thema Mechanisierung sieht Detlev Möller keine fundamentalen Unterschiede. Wie Johannes Weiß erkennt er Besonderheiten bei der Bodenbearbeitung und vor allem bei der Unkrautbekämpfung. „Bezüglich der Hacktechnik gibt es ja mittlerweile auch einen erfreulichen Austausch zwischen ökologischen und konventionellen Landwirten“, so Möller.

Mechanische Unkrautbekämpfung, andere Fruchtfolgen und die Auswahl längerer Sorten, die den Boden beschatten und damit den Aufwuchs von Unkraut reduzieren, gehören zu Maßnahmen, die zur Bodenfruchtbarkeit beitragen. Letzteres auch für Untersaaten. Herbizide und Fungizide dagegen können die Bodenfruchtbarkeit negativ beeinflussen. Das erfordert wiederum mehr Düngung. Dieser Logik entziehen sich Bio-Betriebe so weit wie möglich. Deshalb sind Striegel und Hacke dort die bevorzugten Werkzeuge bei der Unkrautbekämpfung.

Nachhaltiges Wirtschaften funktioniert vor allem über mehrere Bio-Betriebe in direkter Nachbarschaft hinweg mit kurzen Transportwegen und positiven Öko-Bilanzen.“

Johannes Weiß,
Berater beim Verband Naturland

Handarbeit und Roboter

Dass für diese Arbeiten immer mehr Agrarroboter und mechanische Lösungen angeboten werden, ist für konventionelle und für Bio-Betriebe interessant. Auf Seiten der Öko-Landwirte verweist Möller vor allem auf innovative, technikaffine und unternehmerische Vertreter, die robotergesteuerte Techniken in ihren Sonderkulturen nutzen. „Dennoch sind Hack- und Erntekolonnen nach wie vor der Standard auch in größeren Öko-Unternehmen“, so Möller. In Zukunft sei aber durchaus vorhersehbar, dass menschliche Arbeit in größerem Umfang durch intelligente Robotertechnik ergänzt oder ersetzt wird.

Digitalisierung und bessere Vermarktungsstrategien

Die Digitalisierung ist auch in der ökologischen Landwirtschaft angekommen. Allerdings existieren noch Bedenken, was den Umgang und die Nutzung von Daten und ihre Verarbeitung angeht. Doch vor allem jüngere, gut ausgebildete Bäuerinnen und Bauern wissen sehr genau um den Wert von Daten, die moderne Landmaschinen, Satelliten oder Drohnen erfassen und bereitstellen können. Der Wunsch nach offenen Standards und die Verfügungsgewalt über die eigenen Daten verbindet hier konventionelle und ökologische Betriebe.

Klar ist: Bio-Landwirtschaft ist längst kein Nischengeschäft mehr. Johannes Weiß von Naturland sagt dazu: „Wenn Bio-Höfe die breite Masse mit ihren Produkten versorgen wollen, reicht der Vertrieb über Naturkostläden nicht aus.“ Der Lebensmitteleinzelhandel und vor allem Discounter ordern große Mengen. Dass im Gesamtbild konventionelle Betriebe das Gros der Menschen ernähren, wird daran so schnell nichts ändern. Doch die Methoden nähern sich an.

Die nächste Stufe in der – vor allem digitalen – Weiterentwicklung liegt in der Verfolgung von Warenströmen aus dem Stall oder vom Acker bis zum Verbraucher. Diese Transparenz begrüßen viele Seiten, die an Produktion und Vertrieb landwirtschaftlicher Produkte beteiligt sind. Eine Chance, die unabhängig von Bewirtschaftungsweise oder Philosophie funktioniert.